LA JUIVE


Jacques Fromental Halévy



THEATER KIEL
2022

MUSIKALISCHE LEITUNG: Daniel Carlberg
REGIE: Luise Kautz
BÜHNE: Valentin Mattka
KOSTÜME: Hannah Barbara Bachmann
DRAMATURGIE: Ulrich Frey
CHOR: Gerald Krammer
MIT:
Anton Rositskiy
Angélique Boudeville
Matteo Roma
Mengqi Zhang
Sergey Stepanyan
Matteo Maria Ferretti
Samuel Chan
Ill Hoon Cho
Alexandar Stoyanov
Sang Youf Kim
Hankyul Lee
Lubomir Georgiev
Thomas Wischer
Slaw Rotmann
Chan Il Seok
Andrzej Bernagiewicz
Matthias Brede











Fotos: Olaf Struck

“Was die Inszenierung so bedrückend macht: Nicht nur Kulissen und Kostüme sind zeitlos, sondern auch das Geschehen. [...]
"Die Jüdin" ist ein düsteres Spektakel mit riesigem Ensemble, gewaltiger Musik und einer klaren Botschaft: Antisemitismus gab es schon immer. Er zieht sich wie eine Konstante durch die Jahrhunderte bis heute. Zeit, dass sich das ändert.”
NDR online und Hörfunk, 25.03.22

“Regisseurin Luise Kautz zeigt eindrücklich, wie eine Masse außer Kontrolle geraten kann. Sie hat hier auch besonders gut mit dem bravourösen Chor der Oper Kiel an der Mimik der Sänger gearbeitet. Sie drücken Zynismus, Häme und Fanatismus aus. [...] Luise Kautz gelingt in ihrer Neuinszenierung von Frommental Halévy „La Juive“ in Kiel mit der klaren Personenprofilierung und der Zuspitzung der Aggressivität der Massen in den Chorszenen eine sehr schlüssige Umsetzung dieses Meisterwerks der 19. Jahrhunderts.”
Deutschlandfunk, Musikjournal, 28.03.22

“Die spannungsvolle Neuinszenierung der Opernrarität „La Juive“ von Fromental Halévy entwickelt aus einer Art Puppenhaus-Perspektive (Bühne: Valentin Mattka) ein unter die Haut gehendes Lehrstück über das fatale Ineinandergreifen von persönlichem Rachedurst und kollektiv aufkochendem Hass. 
Die Gastregisseurin Luise Kautz trifft am Theater Kiel genau den wunden Punkt eines inzwischen wieder etwas häufiger gespielten Schlüsselwerks der Operngeschichte”
Kieler Nachrichten, 28.03.22

“Mit erschreckendem Realismus wird in den fünf Akten von Fromental Halévys einschneidender Grand opéra „Die Jüdin“ am Theater Kiel der unsägliche Weg in den Faschismus und auflodernden Antisemitismus dargelegt. Regisseurin Luise Kautz verlegt die ursprünglich im 15. Jahrhundert angesiedelte Opernhandlung in die Zeit kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Zwar werden insgesamt keine offenen Symbole gezeigt (Ausrufezeichen statt Hakenkreuzen), die Assoziationen sind jedoch eindeutig und unverkennbar, lassen aber gleichzeitig durch die offene Verschleierung auch geschickt Gegenwartsbezüge zu. Spätestens als der wütende Mob den steinernen Regierungssitz stürmt und demontiert, was – nicht zuletzt durch den beteiligten Schamanenhäuptling mit Megafon – an die Erstürmung des Kapitols in den USA im Januar 2021 erinnert, wird dies deutlich. Dass diese Form der Auslegung absolut glaubwürdig funktioniert, zeigt auch, wie aktuell Halévys 1835 uraufgeführtes Werk und Eugène Scribes Libretto noch heute sind. [...]
Durch einen guten Blick fürs Detail, eine absolut nachvollziehbare Darlegung von Konflikten, starke Bilder und eine dichte Atmosphäre ist Luise Kautz mit ihrer Inszenierung ein großer Wurf gelungen.”
concerti.de, 29.03.22

“Die Opernregisseurin Luise Kautz, hat diese Widersprüche stark herausgearbeitet, sie zum Mittelpunkt ihrer Regie gemacht. Schon früh spaltet sie die Bürgermasse, lässt Parteigänger und Mitläufer erkennen sowie wenige, die nachdenken. [...]
Das ist erregend zu sehen, hat aktuellen Biss, zumal Luise Kautz einen zweiten Trick anwendet. Ständig verändert sie die zeitliche Verortung, verkürzt immer mehr den Abstand zum Hier und Jetzt. [...] Das Tun des Regieteams überzeugt, das in Kiel bei anderen Produktionen schon zusammen gestaltete. Es bietet eine stringente Deutung, in allen Bereichen sich unterstützend. [...]
Diese Inszenierung wurde nicht nur ein Plädoyer gegen Antisemitismus, sie war weit vielschichtiger, ein Plädoyer gegen jegliches Machtgetue, wie wir es zurzeit so grausam erleben.”
nmz online, 30.03.22

Wer hier Bertolt Brechts „Episches Theater“ assoziiert, liegt völlig richtig, denn die Inszenierung von Luise Kautz arbeitet mit Verfremdungseffekten, die in idealtypischer Weise aus einem angedeuteten Spätmittelalter über die Zeit des Faschismus direkt in die Jetztzeit führen. Die ganze Szenerie mit dem beweglichen Bühnenbild von Valentin Mattka belässt Hauswände, Architekturversatzstücke und Innenräume ganz bewusst als Kulissen, die fast tänzerisch hin- und hergeschoben werden und sich immer wieder neu formieren. Das schafft sowohl Offenheit und Dynamik als auch Intimität, je nach Bedarf und Handlung. [...]
Entgegen einer möglichen naturalistischen Darstellung schaffen die Kulissen nie eine wirkliche Illusion, was auch durch die Mischung der Kostüme aus verschiedenen Zeiten unterstrichen wird. [...]
Solisten, Chor und Orchester bieten eine großartige Gesamtleistung und – bei aller Dramatik – einen musikalischen Hochgenuss. Die Oper, deren Musik noch viel Rossini und Meyerbeer atmet, ist voller „Nummern“ wie die Werke von Bizet, Verdi oder Donizetti; auch hier brillieren damit die Solisten, liefern aber auch in den zahlreichen Duetten und vor allem Terzetten Glanzleistungen ab. Dazu kommt ein präsenter und exakt singender Chor (Einstudierung Gerald Krammer), alles zusammen mit dem kraftvollen Orchester unter dem Dirigat von Daniel Carlberg.

Klassik-begeistert.de, 13.04.2022

Doch das Potenzial zur Aggression schwelt stest unterschwellig […]. Luise Kautz verdeutlich diese latente Gefahr zunächst in humorigen Andeutungen, wenn sie die der Grand Opéra gattungsimmanenten Tableaus in ihrer szenischen Statik zwar grundsätzlich ernst nimmt, aber in kleinen Gesten des im trachten-Volkstümlichkeit gewandeten Chors der Christen die Boshaftigkeit des Kollektivs andeutet […]
Wie sich die Bilder und die geradezu archaischen Mechanismen durch die Zeiten hindruch gleichen, verdeutlich Hannah Barbara Bachmann in ihren Kostümen. Die Soldaten erscheinen mit Pickelhaube, der Schultheiß der Stadt Konstanz und die Vertreter des kaiserlichen Heers tragen verdächtige Armbinden, auf denen Ausrufezeichen statt Hakenkreuze prangen. Als sich der fanatisierte wütende Mob im Schlussakt auf die Hinrichtung der Juden einstimmt, mischt sich auch jener Volksterrorist darunter, der Wikingerhörner auf dem Kopf trägt.
Wie Radikalisierung funktioniert, zeigt sie behutsam und in einfühlsamer Personenregie, die – ganz im Einklang mit Halévy – keiner schwarz-weiß Zeichnung bedarf. Denn auch der Jude Éléazar ist in seiner Unversöhnlichkeit gefangen und verbittert, was Anton Rositskiy mit seinem eindringlichen Tenor zwischen anrührendem lyrischen Schmerz und dunkel flammender Attacke sängerdarstellerisch grandios beglaubigt. Auch Angélique Boudeville ist mit ihrem, die Brust- und Kopfresonanzen ideal verschmelzenden, üppig blühenden jugendlich-dramatischen Sopran als Rachel ein Ereignis, das allein die Fahrt an die Kieler Förde lohnte.

Opernwelt Juni 2022